Der Tag begann so, wie er enden sollte – irgendwie beschissen. Wenig Support, dreckiges Herbstwetter, keine wirksamen Aktionen.
Etwa jeweils 30 Leute versammelten sich am Bahnhofsvorplatz, auf dem Arnoldiplatz, sowie vor dem Ju.w.e.L e.V. am Hersdorfplatz, um sich dem Neonaziaufmarsch gegen sogenannte „linke Gewalt“ in Gotha entgegenzustellen. Verschiedene Antifaschistische Gruppen, sowie das bürgerliche Bündnis „Gotha ist Bunt“ e.V. hatten hierzu aufgerufen.
Dem gegenüber standen rund 90 Neonazis verschiedenster Gruppen, wie dem Bündnis Zukunft Landkreis Gotha (kurz:BZLG), THÜGIDA sowie dem III. Weg. Wie bei dem Thema zu erwarten blieb der große Zulauf besorgter Bürger und anderer Kartoffeln aus. Doch auch die Beteiligung von Thüringer Neonazis fiel deutlich geringer aus als von uns erwartet.
Vielleicht lag es unter anderem auch daran, dass die Neonazis einem Hirngespenst hinterherjagten. Selbst Marco Zint (BZLG) blieb dem deutschen Mob als Anmelder eine ernstzunehmende Erklärung schuldig.
Das unverhältnismäßig große Aufgebot an Cops führte dazu, dass es sich als schwierig gestalten sollte, den Neonaziaufmarsch wirksam zu stören. Vereinzelte dezentrale Aktionen schlugen leider fehl.
Eine Fehleinschätzung unsererseits führte schließlich dazu dass das vorhandene Potential verpuffte. Die Route der Nazidemonstration war leider bis zuletzt nicht bekannt und die Befürchtung groß das die Nazis vor das Juwel ziehen oder in die Innenstadt marschieren. Für die Polizei war es ein recht leichtes Unterfangen die unentschlossenen Antifaschist*innen ins Leere laufen zu lassen – wozu auch eine Polizeikette durchbrechen wenn mensch gar nicht weiß was er/sie auf der anderen Seite eigentlich will.
Wer verarscht hier eigentlich wen?
Die Route des BZLG verlief, untermalt vom heroischen Gebrülle David Köckerts, vom Bahnhof in Richtung Innenstadt und dann in die Justus-Perthes-Straße zum Amtsgericht. Vorbei an verfallenden Villen, Baulücken und etwa drei bewohnten Häusern. Vor dem Amtsgericht gab es dann den symbolischen Kniefall der militanten Neonaziszene vor der bundesdeutschen Justiz.
Nach dem üblichen deutschen Gelaber von der „letzten Offensive“ und musikalischer Untermalung durch Patrick Killat (Mitglied des rechtsextremen Hip-Hop-Duos „A3stus“) ging es dann allerdings auch gleich wieder zurück zum Bahnhof. Vorbei an einem Supermarkt, das Wohngebiet „Straße der Einheit“ wurde rechts liegen gelassen und durch die Stielerstraße, vorbei an verfallenden Häusern und weiteren Baulücken, ging es zurück zum Bahnhof.
Diese mögliche Route hatten wir in unsere Überlegungen nicht einbezogen, damit haben wir schlicht und einfach nicht gerechnet.
Die Neonazis sind somit weder in die Nähe des von ihnen so verhassten linken Hausprojektes Juwel gelangt, noch erreichten sie die wenigen Menschen die sich Samstag Nachmittag in Gothas Innenstadt rumtreiben. Für uns heißt das also – auch ohne unser direktes Mitwirken – MISSON COMPLETE (jedoch ohne Extra-Punkte oder Bonus-Level). Die Bonusgewinner am 01.10. waren eindeutig die lokalen und angereisten Cops.
Das Ziel der Demonstration „gegen linke Gewalt“ blieb somit wohl nicht nur uns, sondern auch dem teilweise aus anderen Bundesländern angereisten Lauch verborgen. Es schien fast so als wählten die Nazis den leichteren Weg, hätten Sie doch, wenn schon nicht zum Juwel, wenigstens Richtung Innenstadt laufen können um den Cops etwas Beschäftigung zu geben. So blieb es leider alles belanglos, weder konnten die Nazis gestoppt werden, noch kann es „Zeckenstress“ geben, wenn die Nazis sich von der Staatsmacht eskortieren und beschützen lassen. Eigenkritisch muss aber auch gesehen werden, dass es eben keinen Sinn macht sich mit 50 Leuten vor dem Juwel zu verschanzen, wenn Nazis in 2 km Entfernung aufmarschieren. Etwas mehr Eigeninitiative und Kreativität (natürlich auch unsererseits) hätte da sicher genauso gut getan, wie auch Unterstützung aus größeren Städten, wie bspw. Leipzig oder Jena. Aber die Bequemlichkeit aus der Wohlfühlzone auszutreten ist lange bekannt und zugleich ein anderes Thema.
Ein großer Dank geht trotzdem an alle angereisten Antifaschistinnen und Antifaschisten!
Die Provinz nicht aufgeben!